Leserbrief am 20.04.2012 zu: Einfach nur auf „mehr Demokratie“ zu setzen, ist schlicht zu wenig (Die Presse, 19.04.2012) | UMA | Umwelt Management Austria
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Prof. Taschner konstatiert in seinem Beitrag Politikversagen – das ist nicht neu, nicht überraschend.

 

Ist deshalb die Demokratie generell zu kritisieren und den Bürgern politische Reife abzusprechen? Freilich, der Souverän hat ja die versagende Politik gewählt. Was aber wäre die Alternative?

Mit der pauschalen Ablehnung von „mehr Demokratie“ gibt uns Taschner Rätsel auf: Welche Herrschaftsform präferiert er? – Monarchie? Diktatur? Anarchie? Oligarchie? – Der Autor bleibt uns die Antwort schuldig. Aber raten wir doch: Der Mathematikprofessor denkt wohl insgeheim an eine Expertokratie, in der die Wissenschaft regiert. Dem „demos“ fehlt es ja schließlich an Bildung.

Schon indem Taschner repräsentative und direkte Demokratie sowie empirische Sozialforschung (Umfragen) und deren vielfältige Optionen undifferenziert in einen Topf wirft, verdeutlicht er ein zentrales Problem der Expertokratie: Profunde Fachkenntnis in einer speziellen Disziplin – z.B. Mathematik – sagt nichts aus über fachliche Qualifikation in anderen Bereichen, z.B. Ökonomie, Ökologie, soziale Fragen, Politik, Historie … Taschner beweist auch gleich selbst fachliche Inkompetenz, indem er die Befürwortung von „Bio“ und Atomgegnerschaft als pseudoreligiöse Dogmen verunglimpft. Was muss geschehen, um solchen Experten das unsägliche Leid der Betroffenen von Katastrophen wie Tschernobyl und Fukushima verständlich, einsichtig, nein: fühlbar zu machen? – Wir wollen es uns nicht ausmalen!

Expertenwissen sagt aber erst recht nichts aus über Grundsätze und Wertvorstellungen, nichts über Verhandlungsgeschick und Kompromissfähigkeit, nichts über Verständnis für Sehnsüchte und Ängste der Menschen … alles Ingredienzien verantwortungsvoller Politik.

Warum ausgerechnet nur die Schweizer reif sein sollen für direkte Demokratie bleibt unklar. Den Bürgern da wie dort mag es an wissenschaftlichen Detailkenntnissen fehlen – die Betroffenen von politischen Entscheidungen sind sie aber jedenfalls, und machtlos gegen den Einfluss starker Lobbys auf eben diese Politik. Lassen wir doch den Souverän sich in seine eigenen Angelegenheiten einmischen! Mehr direkte Demokratie! Mehr Bürgermitbestimmung!

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Reinhold Christian
Präsident Forum Wissenschaft & Umwelt
Geschäftsführer Umwelt Management Austria

(Die Presse, 19.04.2012)

Beitrag Prof. Taschner